Mona Mustermann läuft gern Marathon, erzählt aber niemanden in ihrer Laufgruppe, dass sie schon seit Jahren unter schlimmen Kniebeschwerden leidet. Andere erleben sie oft als ein wenig unentspannt und fahrig. Und weder sie noch andere sind sich darüber im Klaren, dass der Ursprung ihres unerschütterlichen Wettkampfehrgeizes in alten Kindheitserfahrungen schlummert. Sie hat verlernt Schwäche zu zeigen. Das ist Mona – durch das Johari-Fenster betrachtet. Was hat es damit auf sich? Und wie kann dir das Johari-Fenster helfen?
Das Johari-Fenster einfach erklärt
Das Johari-Fenster ist eine Matrix, die die Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingheim 1955 entwickelt haben. Die zwei sind auch Namensgeber: Jo-Hari.
Die Matrix zeigt die unterschiedlichen Ebenen der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die Idee dahinter ist, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung oft voneinander abweichen und wir durch eine offenere und bewusstere Kommunikation Konflikte vermeiden beziehungsweise besser auflösen können.
Die vier Felder des Johari-Fensters
Die Matrix setzt sich aus vier Feldern zusammen, die ich im Folgenden am Beispiel von Mona erkläre:
- Arena bzw. öffentlicher Bereich: Hierbei handelt es sich um Informationen, die mir und anderen bekannt sind. Im Beispiel von Mona ist dies der erste Satz: Sie weiß von sich selbst, dass sie gern Marathon läuft, und ebenso ist es ihrem Umfeld bekannt. Weitere Beispiele für diesen öffentlichen Bereich sind Infos über unseren Job, das Alter, Hobbies, unser Erscheinungsbild oder unsere familiäre Situation. Die Johari-Erfinder sind davon ausgegangen, dass dieses Feld insgesamt eher klein ist. In Zeiten von Social Media und einer zunehmenden Selbstdarstellung ist diese Ansicht aber gegebenenfalls überholt, da wir doch sehr viele Informationen von uns öffentlich preisgeben – sowohl online als auch offline.
- Intimsphäre bzw. geheimer Bereich: Hier geht es um Informationen, derer wir uns selbst bewusst sind, sie aber nicht mit anderen teilen. Mona weiß von ihrer Knieverletzung, erzählt aber so gut wie niemanden davon. In diesen Bereich der Intimsphäre fallen natürlich nicht nur körperliche Beschwerden. Weitere Beispiele sind Informationen über unsere Hobbies, Sexualität, Stimmungslage, Wünsche und Träume etc. Ebenso können in diesen Bereich aber auch Meinungen fallen, die wir zu bestimmten Themen haben.
- Blinder Fleck bzw. mir unbekannter Bereich: Wenn du dich in irgendeiner Art und Weise verhältst, die dir selbst nicht bewusst ist, von anderen jedoch sehr wohl bemerkt wird, hast du einen blinden Fleck. Mona nimmt sich selbst nicht als fahrig wahr, die anderen aber schon. Blinde Flecken können Eigenschaften sein, aber auch Verhaltensweisen wie Zwänge oder Ticks (z. B. Beinwippen).
- Unterbewusstsein bzw. unbekannter Bereich: Hierunter fasst man alle Aspekte unserer Persönlichkeit und unseres Verhaltens, von dem keiner weiß – weder wir selbst noch andere. Im Beispiel von Mona sind das ihre vergangenen Kindheitserfahrungen. Sie kann sich nicht mehr aktiv daran erinnern und dennoch wirken sie sich bis in die Gegenwart hinein auf ihr Verhalten aus und machen sie unnachgiebig in Bezug darauf, Schwäche einzugestehen und zu zeigen. Die Johari-Jungs gehen davon aus, dass dieses Feld im Grunde genommen das größte ist.
Die Größe der jeweiligen Fenster variiert allerdings von Person zu Person und ohnehin ist die grafische Darstellung nur eine Vereinfachung: Denn: Jeder Mensch geht ganz individuell mit Informationen von sich selbst um. Was für den einen bereits sehr vertraulich ist, lässt der andere schon beim ersten Gespräch fallen. Die einen erfahren nie von ihren blinden Flecken, die anderen haben das Glück regelmäßig Feedback zu erhalten.
Wie du das Johari-Fenster für dich nutzen kannst
1) Feedback von anderen nutzen
Schritt 1: Blinde Flecken verkleinern: Du kannst deine blinden Flecken verkleinern, indem du aktiv nach Feedback fragst. Dabei können dir folgende Fragen an dein Gegenüber helfen:
- Was zeichnet mich besonders aus – im Guten wie im eher Schlechten?
- Habe ich irgendwelche Ticks, die mir nicht bewusst sind? Und falls ich welche habe, nerven sie dich?
- In welchem Bereich kann ich noch am meisten an mir arbeiten?
Ganz ehrlich: So direkt nach Feedback fragen fällt mir persönlich sehr schwer. Das habe ich bisher nur bei sehr vertrauten Personen gewagt. Deutlich einfacher ist da der zweite Schritt:
Schritt 2: Nutze konstruktive Kritik, um deine eigenen Gedanken und Verhaltensweisen zu hinterfragen. Der andere lädt dich dazu mit seiner Kritik ein, schmettere diese Einladung also nicht von vornherein aus verletztem Stolz ab. Du musst dir nicht jede Kritik zu eigen machen – erst recht nicht, wenn sie unkonstruktiv vorgebracht wurde. Aber bei einer konstruktiv vorgebrachten Kritik (siehe hierzu auch meinen Artikel zu den Ich- und Du-Botschaften) bringt es dich immer weiter, diese mit Offenheit und Dankbarkeit entgegen zu nehmen.
Vielleicht hat der andere ja wirklich etwas bemerkt, das dir gar nicht bewusst war. Frei nach einem Zitat von Anne Gopp „Geheimnisse habe ich nur vor mir selber.“ Jeder blinde Fleck, der aufgelöst wurde, vergrößert die Arena. Und das ist erst einmal etwas Gutes. Denn dadurch können Konflikte vermieden werden.
Hier ein Beispiel aus dem Nähkästchen geplaudert: Ich bin ein recht ungeduldiger Mensch. Bis vor ein paar Jahren war mir dies nicht wirklich bewusst. Erst seitdem ich damals ein entsprechendes Feedback erhalten habe, weiß ich überhaupt, dass ich mich in manchen Situationen vielleicht etwas offensichtlich genervt verhalte und andere mit meiner Ungeduld stresse. Zwei Dinge habe ich daraufhin geändert:
Erstens hinterfrage ich nun das Gefühl der Ungeduld und meine entsprechende Verhaltensweise häufiger. Ist es wirklich angemessen? Was genau treibt mich gerade an? Bringt mich die Ungedult weiter? Will ich mich selbst davon stressen lassen und womöglich andere damit anstecken?
Zweitens gehe ich mittlerweile recht offensiv damit um. Dadurch wissen alle meine Kollegen, dass ich hier – nun ja, nennen wir es mal wertschätzend – ein Lernfeld habe. Sie können sich also auch darauf einstellen. Und das Beste: Gemeinsam können wir darüber scherzen. Bye bye, blinder Fleck! Und damit sind wir direkt beim nächsten Tipp:
2) Dich mitteilen
Du kannst auch proaktiv den Bereich der Arena ausweiten, indem du dich mehr preisgibst. Hier habe ich weniger das nächste Spiegel-Selfie aus dem Badezimmer im Sinn, als vielmehr relevante Informationen, die anderen im Umgang mit dir helfen können.
Mona könnte zunächst bei ihrem Partner beginnen und ihm anvertrauen, wie sehr sie der Spagat auch ihrem ehrgeizigen Marathontraining, der Physiotherapie, ihrem Job und dann noch der zu kurz kommenden Zweisamkeit stresst. Wenn sie dann irgendwann ihrem Partner gegenüber unbewusst wieder einen schnippischen Kommentar fallen lässt, kann er das dann zumindest besser einordnen. Im Idealfall informiert Mona außerdem auf eine angemessene Art und Weise ihre Kollegen.
Wenn du bei deinen Mitmenschen mehr Transparenz über deine Gedanken und deine Verhaltensweisen schaffen möchtest, können dir folgende Fragen helfen:
- Was beschäftigt mich zur Zeit? Und was belastet mich?
- Was sind meine größten Stärken und Schwächen?
- Was wünsche ich mir – privat, beruflich, gesundheitlich?
Durch diese Fragen kannst du Themen des geheimen Bereichs identifizieren und dir überlegen, inwiefern du sie in den Bereich der Arena lenken kannst und willst.
3) Bewusstsein fürs Unterbewusste schaffen
Am schwersten ist es sicherlich am Feld des Unterbewussten zu arbeiten. Natürlich kannst du dich hier über Methoden wie Meditationen, Selbst-Hypnose, kreativen Schreibtechniken etc. versuchen anzunähern. Unterm Strich kann dir aber meiner Meinung nach nur ein ausgebildeter Coach oder Psychologe dabei helfen, den Staub des Unterbewussten wegzuwischen und für mehr Klarheit in dieser Rumpelkammer zu sorgen.
Fazit: Das Johari-Fenster in zwei Sätzen erklärt
Ich fasse nochmal zusammen: Das Johari-Fenster bildet vier Felder mit unterschiedlichem Transparenz- und Bekanntheitsgrad ab: Die Arena, das Geheimnis, der blinde Fleck und das Unbewusste. Indem du Feedback beherzigst und anderen gegenüber offen mit deinen Gefühlen und Herausforderungen umgehst, kannst du vielen Konflikten von vornerhein das Fundament entziehen.
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